Freitag, 1. November 2024

Tag 95 – Wellington (Freitag, 1. November)

Nach dem Frühstück gehe ich in Richtung Bahnhof, wo mich ein netter Herr mit blauem Schirm erwartet. Ich habe mich in eine «Free Walking Tour» gebucht. Da ich solche ab dem Frühling in Zürich selbst anbieten möchte, ist es sehr interessant zu sehen, wie dies andernorts gemacht wird. Wir sind eine kleine Gruppe von nur sechs Personen, was den Austausch intensiv und spannend macht. Wir beginnen im Bahnhofsgebäude – einem eindrücklichen Bau, bei welchem bewusst Elemente von vielen verschiedenen Bahnhöfen weltweit übernommen worden seien, um den Einwandernden aus aller Welt etwas Vertrautes bieten zu können. Bei mir klappt dies ganz gut – nur bin ich mir solche grossen Bahnhofshallen mit viel mehr Menschen gewohnt… Und die Werbung an den Abfahrtsanzeigen bei den Geleisen finde ich ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Wellington ist zum einen die südlichste Hauptstadt der Welt und gilt zum anderen als windigste Stadt weltweit – und heute macht sie ihrem Ruf alle Ehre! Wir machen uns auf die Tour bei Sonnenschein und heftigem Wind. Und kommen als erstes an alten und aktuellen Parlaments- und Regierungsgebäuden vorbei. Ein schönes älteres Gebäude wirkt als Steinbau – ist aber aus Holz gebaut, da es keine anderen guten Baumaterialien gegeben, aber ein solches Gebäude repräsentativ zu sein habe. So wurde eine Technik entwickelt, um Holz steinern scheinen zu lassen. Der moderne Regierungssitz – auch «Beehive» genannt – gefällt weniger. Nicht nur mir, er habe eine «Auszeichnung» erhalten als «dritthässlichstes Regierungsgebäude der Welt» ;-) Im kleinen Park davor findet sich ein Kriegsdenkmal für verschiedene (auswärtige) Kriege, an welchen Kämpfende aus Neuseeland teilnahmen. Beim 1. Weltkrieg seien es rund 100'000 gewesen – bei einer Gesamtbevölkerungszahl von nur einer Million… Daneben finden sich traditionelle Grenzsteine – welche bei den Maori gleichzeitig Willkommenssymbole gewesen seien. Und es hat eine Installation aus «Greenstone». Dieses Jade-Gestein war das Härteste, was die Maori kannten – und war daher wichtig und wertvoll. Schmuck aus Jade wurde jeweils verschenkt, wenn eine Schlacht gewonnen wurde – und bis heute kaufe man Jade-Produkte nicht selbst, sondern diese würden als «Trophäe» überreicht. Nicht mehr wörtlich für gewonnene Schlachten, aber wenn z.B. der Kampf gegen eine Krankheit gewonnen oder ein grosses Ziel erreicht wurde. Unser Guide erhielt seinen Jade-Schmuck von seiner Mutter zum Abschluss der Uni. An verschiedenen Orten kommen wir an Schildern vorbei, welche die alte Uferlinie anzeigen. Wie in anderen Städten wurde dem Wasser zusätzlicher Boden abgerungen – jedoch war hier vor allem ein Erdbeben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verantwortlich. Dieses hob den Boden um rund 1.5 Meter… Daher bildete sich vor der bestehenden Stadt ein Feuchtgebiet, welches im Anschluss trockengelegt wurde. Und so konnte die Stadt in der Ebene wachsen. Die Tour führt weiter durch die Innenstadt und das Gebiet am Hafen – mit immer weiteren interessanten Informationen. Über eine speziell gestaltete Brücke, der «City-to-Sea-Bridge», gelangen wir zur Cuba Street. Diese gilt als lebendigste Ecke der Stadt – und hier endet die knapp zweieinhalbstündige Tour. Daher mache ich mich selbst auf den Weg, die Gegend weiter zu erkunden. Diese Strasse steht in allen Reiseführern als Highlight – und es ist ein nettes Ambiente mit vielen Läden und Restaurants. Bis auf eine kurze Strecke fahren hier auch Autos durch – und abermals wird deutlich, dass in allen neuseeländischen Städten an viel zu vielen Orten viel zu viele Autos fahren und einen anregenden Stadtraum fast unmöglich machen. Ich schlendere doch durch diese und die angrenzenden Strassen und sehe viele gut besuchte Cafés und finde mir dann selbst ein schönes Lokal für eine Pause. Frisch gestärkt spaziere ich weiter – und komme zur berühmten roten Cable Car. Diese Standseilbahn führt auf einen Hügel mit schöner Aussicht über die Stadt und die Bucht. Hier oben mache ich einen Rundgang durch den Park und fahre dann die paar Minuten zurück in die Stadt. Und danach gehe ich im grossen Bogen zurück ins Hotel für eine Pause, da wir am Abend noch einen weiteren Programmpunkt gebucht haben. Es ist die die «Dämmerungs-Tour» in Zealandia. Dabei handelt es sich um ein 225 Hektar grosses Naturschutzgebiet, welches seltene einheimische Tierarten schützt. Neuseeland ist einer der letzten Orte weltweit, an welchem menschliche Einflüsse zum Tragen kamen – erst vor rund 1000 Jahren erreichten polynesische Entdeckungsfahrten das Land. Daher konnte sich die Natur auf dieser Insel über eine sehr lange Zeit ungestört entfalten. Dies machte sie umso anfälliger auf Veränderungen, welche die Menschen mit sich brachten – insbesondere mitgebrachte Säugetiere stell(t)en für die einheimischen Tiere eine grosse Gefahr dar. Das Schutzgebiet könnte auch selbständig durchwandert werden, doch wir haben uns für eine geführte Tour entschieden, um mehr Informationen zu all den Tieren zu erhalten, die wir in den nächsten zweieinhalb Stunden anzutreffen hoffen. Die maximale Gruppengrösse ist zwölf – doch zu unserem Glück sind wir die einzigen Teilnehmenden und erhalten so eine private Tour. Wir starten um 18.15 – und um diese Zeit ist der Eintritt sonst nicht mehr möglich, sodass wir den ganzen Ort für uns alleine haben :-) Unsere Führerin weiss sehr viel zu erzählen, so dass jede Minute spannend ist. Viele der Tierarten hätten wir selbst gar nicht gesehen im grünen Dickicht dieses Tales. Wie schon an anderen Orten geben verschiedene Vögel ein stetes Konzert – herrlich. Wir sehen viele «Tui», «Kaka» und «Hihi», sowie weitere Vogelarten, deren Namen ich mir leider nicht merken konnte. Insbesondere bei den Kaka gibt es grosse Verbesserungen im Bestand. In der Region Wellington wurden vor rund 25 Jahren nur noch einige Dutzend dieser Vögel vermutet, jetzt sind es wieder viel mehr als tausend. Auf dem längeren Spaziergang sehen wir auch den «Silver Fern», eines der nationalen Symbole des Landes, inklusive der silbrig schimmernden Unterseite. Und der Höhepunkt folgt kurz vor Schluss: Wir sehen ganz nahe einen Kiwi! Ich hatte ganz zu Beginn mal geschrieben, dass wir einen Kiwi gesehen hätten. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass dies so gar nicht möglich war, da diese flugunfähigen Vögel nachtaktiv sind und wir diesen mitten am Tag zu sehen glaubten... Doch hier hören wir zuerst die Rufe eines Männchens und dann eines Weibchens – um kurz danach im Gebüsch einen kleinen Kiwi davonwatscheln zu sehen :-) So war es ein wirklich gelungener Abend – und ein weiteres Highlight hier! Nach zwei so spannenden und intensiven Touren (für die alleine ich fünf Stunden unterwegs war) bin ich jetzt sehr geschafft – aber glücklich. So kommen wir gegen halb zehn zurück im Hotel an und verbringen noch einen ruhigen Abend.

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