Dienstag, 9. Dezember 2014

Villa El Salvador

Lima ist in meinem Kurs zur Stadtgeographie ein Fallbeispiel und ist ein Musterbeispiel einer extrem segregierten Stat. Aus diesem Grund bin ich einerseits sehr gut eingelesen über die Stadt und andererseits besonders interessiert, dies alles nun auch erleben zu dürfen. Ich habe für den ganzen Tag eine Tour gebucht, die mich an besonders interessante Punkte bringen soll. Der Tag beginnt mit dem Besuch der grössten Favela des Kontinents: In Villa El Salvador leben geschätzte zwei Millionen Einwohner. Lima gilt als zweittrockenste Hauptstadt der Welt (hinter Kairo) und liegt am Fuss der Anden. So ist die Entwicklung der Stadt gut nachvollziehbar, wie im Zwiebelmodell kam Schicht um Schicht hinzu, bis die Gipfel der Hügel erreicht und bebaut waren. Daher sind hier die obersten Lagen die schlechtesten, da alle anderen einfach zuvor genommen wurden. Zudem sind diese näher am Wasser, denn dieses wird durch die Flüsse aus den Anden an die Küste gebracht und fällt nicht hier. Lima liegt zwar oft im Nebel – und ist so mit Swakopmund in Namibia vergleichbar – aber der jährliche Niederschlag liegt bei 10mm!

Das erwähnte sehr schnelle Wachstum der Stadt habe verschiedene Gründe. Zum einen handle es sich um klassische Landflucht, zum anderen seien jedoch lokale Besonderheiten wie die Unsicherheit nach der Landreform und die Flucht vor dem Terror des „Sendero Luminoso“ die Ursachen. Bei ersterem wollte eine kommunistische Regierung in den 1960er-Jahren die ungerechte Landverteilung aus der Kolonialzeit neu regeln. Dabei hätte sich aber das Problem ergeben, dass die Landbevölkerung keine Papiere gehabt habe, um das Land legal zu erhalten und die alten Besitzer verliessen die Gegend. So sei eine grosse Unsicherheit eingetreten und niemand habe mehr das Land bebaut, was viele zur Migration in die Hauptstadt getrieben habe. Und die Gruppe des „Leuchtenden Pfades“ wollte mit Terror eine Neuordnung des Landes erreichen, worunter jedoch vor allem die Ärmsten auf dem Land litten, die vor eben diesem Terror ebenfalls in die Stadt flüchteten. Diese Terrorwelle dauerte viele Jahre, bis Fujimori dem ein Ende setzen konnte. Auch die Barriadas in Lima galten zu dieser Zeit als Hochburgen des Terrors, weshalb unser Guide Fujimori verehrt, auch wenn dieser mittlerweile im Gefängnis sitzt, da er nicht nur korrekt regiert hatte…

Wir besuchen zuerst einen lokalen Markt, auf welchem alles Mögliche angeboten wird und auf dem eine jede und ein jeder etwas von einem Medizinmann oder einer Medizinfrau hat und das jeweils Passende verkaufen möchte. Alles wird ohne Kühlkette verkauft, was bedeutet, dass insbesondere das angebotene Fleisch sehr frisch sein muss – oder dann nicht mehr wirklich gesund ist… Die Traditionen der Inka haben zum Teil auch in der Stadt überlebt, so sei es üblich, dass unter den Bewohnern eine grosse Solidarität herrsche und man sich gegenseitig helfe.

Im Anschluss gehen wir immer weiter den Hügel hinauf. Die Aussicht ist herrlich, aber die Erschliessung nicht, und so heisst es für diejenigen, die ganz oben wohnen, täglich hinunter Teil gelegt, aber oft sind diese nicht angeschlossen, unter anderem, da die Versorgungsgesellschaft 6 Monate Vorzahlung verlangt, was für viele nicht möglich ist. So kaufen sie täglich neu Wasser von den Lastwagen und zahlen so zum einen mehr und zum anderen ist es sehr beschwerlich, das Wasser in den Containern oder Flaschen nach Hause zu schleppen. Wir begegnen verschiedenen Bewohnern, die kurz für einen Schwatz haltmachen, da sie unseren Guide kennen, der in diesem Quartier aufgewachsen ist und nun diese Touren leitet. All diese Orte wären ohne Führung nicht begehbar, immer wieder winkt unser Guide „Aufpassern“ zu, die sicherstellen, dass niemand „falsches“ in dieser Zone auftaucht, denn das Kokain und die Kokain-Mafia hätten die ganze Barriada unter Kontrolle! Es sei sehr schwierig, dagegen vorzugehen, da zu viel Geld damit zu machen sei und die Verlockungen für die Jugendlichen immens seien. Daher sei es auch nicht ungewöhnlich, mitten in diesen Barriadas Luxusautos anzutreffen… Wir  besuchen auch eine kleine Silberwerkstatt. Hier wird produziert, was in den (teuren) Läden in Miraflores und anderswo dann als „handmade“ verkauft wird. Mit einfachsten Hilfsmitteln und tatsächlich von Hand gefertigt, erhalten wir hier einen Einblick ins Kunsthandwerk.

Diese Tour wird von einer Nonprofitorganisation angeboten. 70 Prozent der Einnahmen der Tours gehen in die eigenen Hilfsprojekte, und ein solches können wir während der Tour besuchen. Es handelt sich um eine Schule und eine Kindertagesstätte, denn oftmals sind beide Elternteile auf Arbeit angewiesen und blieben Kinder sonst den ganzen Tag auf sich gestellt. Kinderhandel ist ein grosses Problem des Landes. Daher kontrolliere der Staat regelmässig, ob alle Kinder der Schule des Projektes auch tatsächlich da seien, da ein solches Projekt auch als „Schaufenster“ für Touristen auf der Suche nach Kindern missbraucht werden könnte. Allein der Gedanke daran lässt mich erschauern!

Wir sehen viele Kinder in der Gegend, hingegen kaum Jugendliche. Die meisten seien irgendwo unterwegs im Versuch, etwas Geld zu verdienen. Der Schulbesuch in Peru ist umsonst und findet in Schichten statt, um die Räume bestmöglich zu nutzen. Aber das andernorts bereits angetroffene Problem, dass die Bildung in den staatlichen Schulen sehr schlecht sei, ist leider auch hier aktuell…

Zum Schluss noch etwas Werbung: www.hakutours.com

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen